von Nils Gründer
Die Wurzeln deutscher Verteidigungspolitik sind seit Bestehen der Bundesrepublik liberal geprägt. Angetrieben durch den Ost-West-Konflikt des Kalten Krieges entwickelte sich die Verteidigungspolitik der westlichen Partner initial orientiert an der aufkommenden liberalen internationalen Ordnung. Nach Ende des Kalten Krieges wählten die NATO-Mitgliedsstaaten allerdings diverse Ausrichtungen ihrer Verteidigungspolitik, während sie weiterhin die liberale internationale Ordnung unterstützten. Für Deutschland bedeutete das eine Phase der Abrüstung, einer Verkleinerung der Bundeswehr, der Friedensdividende sowie des „freundlichen Desinteresses“ in der öffentlichen Wahrnehmung. Diese Entwicklungen verfestigten sich in der deutschen Gesellschaft. Erst exogene Schocks, u.a. die Annexion der Krim im Jahr 2014, ließen die Thematik wieder präsenter in den Köpfen der Deutschen werden. Schlussendlich war es jedoch Putins Angriffskrieg, der zu einem Umdenken führte. Konflikte wie diese zeigen Mal für Mal, wie kostbar unsere liberale Weltordnung ist. An der Maxime – diese liberale internationale Ordnung zu verteidigen – sollte sich ein Zukunftsmodell der Verteidigungspolitik orientieren. Im Folgenden möchte ich dieses Zukunftsmodells skizzieren, indem die drei Grundprinzipien mit konkreten Lösungsansätzen dargestellt werden.
Drei Grundprinzipien für Verteidigungspolitik
Das erste Prinzip ist das Zusammendenken von Werten und Interessen. Die aktuelle Suche nach Wertepartnern, die uns mit fossilen Energieträgern beliefern, zeigt, wie schwierig es sein kann, Werte und Interessen zu vereinen. Was für die Energiewirtschaft gilt, gilt ebenso für die Verteidigungspolitik. Wir müssen uns also die Frage stellen: Was ist das Ziel unserer Bundeswehreinsätze? Es braucht konkrete Strategien und Ziele, wie sie in einer nationalen Sicherheitsstrategie definiert werden. Daneben benötigt es aber ebenso ein koordinierendes Element, welches auf Basis von gemischter Expertise und exklusiver verteidigungs- und sicherheitspolitischer Interessenleitung agiert. Dieses Element sollte ein nationaler Sicherheitsrat sein, dessen institutionelle Gestaltung das deutsche Ressortprinzip stärkend integriert.
Das zweite Prinzip ist die Souveränität und die Kooperation der europäischen Staaten. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben sehr deutlich gemacht, dass sie ihre Ressourcen und Aufmerksamkeit in Zukunft immer stärker auf die indopazifische Region konzentrieren. Für Deutschland bedeutet das, dass es mit neuen Anforderungen an die europäische Souveränität in den Verteidigungsaspekten konfrontiert ist. Ein Blick in die Verteidigungshaushalte der globalen Schwergewichte, wie USA (801 Mrd. Dollar in 2021) oder China (293 Mrd. Dollar in 2021) verdeutlicht dies. Im Vergleich dazu beläuft sich der Verteidigungsetat von Deutschland, Frankreich und Italien zusammen auf 144,6 Mrd. Dollar im Jahr 2021. Das zeigt, dass Europas Souveränität allein durch Kooperation gelingen kann. Die Institutionen der Europäischen Union und eine starke Industrie bieten die besten Voraussetzungen für eine innovative Verteidigungsindustrie. Nutzen wir sie!
Als drittes und letztes Grundprinzip ist die Stärkung der internationalen Rüstungskontrolle zu nennen. Internationale Institutionen sind eines der Kernelemente einer liberalen internationalen Ordnung. Gleichzeitig sind sie aber auch Werkzeug für die Verteidigungspolitik. Im Bereich der Nuklearwaffen muss die Nonproliferation weiterhin die Handlungsmaxime sein. In der Verteidigungspolitik der Zukunft geht es nämlich nicht nur um einen Überlebensinstinkt, sondern um Ressourcen und effiziente Planung. Je mehr nukleare Waffe existieren, desto mehr Fähigkeiten und Planung fließt in diesen Bereich. Diese Ressourcen müssen gespart und anderweitig eingesetzt werden.
Drei Handlungsnotwendigkeiten aus nationaler Perspektive
Zur Umsetzung dieser drei international orientierten Prinzipien ergeben sich drei Handlungsnotwendigkeiten, besonders für die nationalen Aspekte der Verteidigungspolitik.
Die Kultur markiert wohl den zentralsten Aspekt. Denn ein gesamtgesellschaftliches Verständnis für Sicherheit und Verteidigung in der breiten Bevölkerung ist essentiell. Dabei geht es insbesondere um den Respekt und die Anerkennung für die Leistung und Hingabe der Soldatinnen und Soldaten. Aber auch um ein grundsätzliches Verständnis für die Institution Bundeswehr: Wie funktionieren unsere Streitkräfte? Welche Maßnahmen und Regularien verhindern eine missbräuchliche Militarisierung Deutschlands? Die Bundeswehr sollte ein Spiegelbild innerdeutscher gesellschaftlicher Entwicklungen sein. Mit anderen Worten: Die Bundeswehr muss diverser werden. Auch der Umgang mit psychischen Erkrankungen – im Alltag und als Einsatzfolge – muss normalisiert werden, ebenso wie die Bereitstellung von Informationen für den gesamten Personalstamm. Diese Kultur ist ein Ansatzpunkt und unabdingbar, um Nachwuchs in Reihen der Bundeswehr zu gewinnen.
Eine grundliberale Forderung im Bereich der Verwaltung betrifft ebenso die Bundeswehr: ossifizierte und ineffiziente Verwaltungsprozesse. Der komplette Verwaltungsapparat muss daher drastisch optimiert werden. Damit einhergehend muss auch die Verantwortungsdiffusion in den Abteilungen und den Dienststellen ein Ende finden. Anstelle des Prinzips der Risikoaversion müssen wir mehr auf Eigenverantwortung und die Belohnung von herausragender Leistung setzen. Gleichzeitig muss der besonderen Natur der Verteidigungspolitik Rechnung getragen werden. Denn Sicherheit und Freiheit werden immer zwei Gewichte in einer Waagschale sein. Diese gilt es – mit Blick auf unser Grundgesetz sowie die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands – ständig gegeneinander abzuwiegen.
Als letzter Aspekt seien noch die Ressourcen zu nennen. Im Bereich der Verteidigungspolitik werden mehr Geld sowie mehr Personal benötigt. All dies ist jedoch nur effizient, wenn es eine Strategie gibt (s. 1. Prinzip), wir eine wettbewerbsfähige Verteidigungsindustrie haben (s. 2. Prinzip) und wir nicht in Dimensionen kämpfen müssen, in denen wir keine oder geminderte Fähigkeiten besitzen (s. 3. Prinzip). Ebenso muss ein Kulturwandel stattfinden, der dieses Ressourcenplus wertschätzt (s. 1. Handlungsnotwendigkeit) und Prozesse, die eine Nutzung dessen ermöglichen (s. 2. Handlungsnotwendigkeit). In diesem Rahmen braucht es unbedingt eine konstante Finanzierung, durch Einhaltung des 2-Prozent-Ziels sowie mehr Personal. Parallel kommt hier wieder die Strategie ins Spiel: Wie sieht die Bundeswehr im Jahr 2050 aus? Diese Frage muss ein liberales Zukunftsmodells im Bereich der Verteidigung stellen, um realistisch über Ressourcen zu reden.
Das Ziel des Modells ist eine leistungsfähige und anerkannte Bundeswehr, die unsere Werte verteidigt und ein verlässlicher Partner ist. Die Politik muss darauf abzielen, ein internationales System zu stützen, das Stabilität und Frieden fördert. So sind Abschreckung und Prävention gleichermaßen das Ziel dieses liberalen Zukunftsmodells der Verteidigungspolitik.

Nils Gründer ist mit 25 Jahren der jüngste Abgeordnete der FDP-Bundestagsfraktion und stammt aus der Oberpfalz. Vor seinem Einzug in den Deutschen Bundestag studierte er Politikwissenschaft und BWL an der Universität Regensburg sowie Volkswirtschaftslehre an der Universität Göttingen. Bereits als Kind brannte er für die Bundeswehr und führt seine Begeisterung nun als Mitglied im Verteidigungsausschuss fort.