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Wir sind es Euch allen schuldig.

von Dimitra Papadopoulou

Warum die „Schule von Morgen“ erst der Start der liberalen Schulpolitik ist.


Im Jahr 2019 wurden Schülerinnen und Schüler aus Deutschland als „durchaus akzeptabel“ im gefürchteten Pisa-Ranking bewertet. Die Bildung junger Menschen in der Bundesrepublik sei zwar besser als der internationale Durchschnitt, jedoch nicht wirklich gut. In einem Land, das sich durch Ambition und Fortschritt auszeichnen möchte, sollte dieser Vergleich anders aussehen. Auch die Lehren der ferneren Vergangenheit zeigen: Deutschland muss aufhören in Sachen Schulbildung zu komprimieren. Es wird Zeit, dass wir nun den Mut zeigen und blaue Briefe an ein stehengebliebenes System verschicken.


Die deutsche Schulpflicht im Wandel der Zeiten


Die Traditionsstube Schule ist bereits seit Ewigkeiten eine Pflicht der Deutschen. Bereits seit dem 18. Jahrhundert wurden Regularien für den Schulbesuch von Kindern geschaffen, die fortgehend bis in die Weimarer Republik reformiert wurden. Für viele Jahrzehnte dominierte die geistliche Schulaufsicht die Bildungsgesellschaft Deutschlands. Abgeschafft wurde jene mit dem Schulaufsichtsgesetz im Preußischen Königreich, veranlasst durch Bismarck. Dies war davon motiviert, um statt bisher hauptsächlich religiös-geprägte Kinder zu erhalten, mehr künftige Soldaten zu erziehen. Im Fachjargon wird dies gern als Bildungsexpansion bezeichnet: Ein neues Innovationsmodell, was zu einer deutschen Erfolgsgeschichte werden sollte.

Im Jahr 1978 wurde das Grundgerüst der Schulpflicht aus der Weimarer Verfassung zur „Allgemeinen Schulpflicht“ umgewandelt, die bis heute für alle Kinder ab sechs Jahren gilt – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder körperlichen sowie geistigen Beeinträchtigungen. Wer ehrlich mit sich ist, muss gestehen: Seitdem kann man nicht mehr von einer innovativen Bildungsexpansion sprechen, sondern von einer Konformität, die meistens zu spät auf gesellschaftliche Probleme antwortet. Gute Bildung soll bleiben und mit bewährten sowie bestehenden Konzepten weiterentwickelt werden. Das darf nicht mehr unser Anspruch sein.

Vor einigen Jahren bin ich auf folgende Aussage gestoßen: „Unser Schulsystem ist stehen geblieben und es gibt großen Nachholbedarf. Es gibt von Seiten der Politik zu wenig Vorbereitung auf die neuen Herausforderungen, um Schulen sowie Lehrer*Innen zu stärken.“

Wen diese Kritik überrascht, sollte einen Blick in unsere Schulen werfen – glauben Sie mir, es wird ein Fest: Technik, die einen die wilden 70er erleben lässt; Bänke, die bereits von der eigenen Mutter „verschönert“ wurden; Sanitäranlagen, die jedes Kind für eine Expedition in die Wildnis vorbereiten.


Die Zukunft der Bildung: Anpassung an den „German Dream“


Vielleicht ist es an der Zeit das gut-deutsch-bürgerliche Bildungssystem zu überdenken und diese aus der Tradition heraus dem „German Dream“ anzupassen. Streichen Sie das „Vielleicht“; wir sind es den kommenden Generationen schuldig, das „Akzeptabel“ durch ein „Ausgezeichnet“ zu ersetzen und einen Sinneswandel in der Öffentlichkeit zu erzeugen.

Vor allem im Rahmen der Schul- und Bildungspolitik neigt die politische Öffentlichkeit ohnehin zu einer zu starken Fokussierung auf einzelne Themen, die dann wochen- oder monatelang die Berichterstattung und dadurch auch das politische Handeln bestimmen. So können andere wichtige Themen entweder aus der medialen oder schlimmstenfalls noch aus der politischen Aufmerksamkeit zu Unrecht verschwinden. Denn eines ist doch klar: Wir haben es in der Bildungspolitik grundsätzlich mit vielen Herausforderungen zu tun, die unsere Aufmerksamkeit und unser Handeln erfordern, angefangen mit dem Sinneswandel in der Schulpolitik.

Die zentrale Aufgabe der liberalen Bildungspolitik sollte es sein, jeden Menschen bei seinen Lernprozessen bestmöglich zu unterstützen und im Ziel zu befähigen, ein selbstständiges, glückliches und seinen Talenten entsprechendes Leben zu führen. Gleichzeitig muss eine moderne Bildungspolitik schon ab dem Kindesalter aktiv wirken, um aus kleinen Personen mündige Bürger werden zu lassen, die erfolgreich am gesellschaftlichen Leben mitwirken können. Damit muss der Mensch immer in den Mittelpunkt gerückt und als Individuum mit eigenen Wünschen, Fähigkeiten und Talenten betrachtet werden.


Drei zentrale Aspekte eines liberalen Schulupdates


Dass diese Ziele keine Utopie sind, wurde in vielen Ländern an entsprechender Stelle bewiesen. Nun liegt es an uns einen offenen Kopf zu zeigen und zu lernen, wie die Schule von Morgen bereits heute konzipiert werden kann. Aktuell unterzieht sich fast jede Nation einer Umwandlung ihres Bildungssystems. Dafür gibt es vornehmlich zwei Gründe: ökonomische und kulturelle Gründe. Diese sollten in einem gemeinsamen Zweiklang gebracht werden, bei dem man sich hinterfragt, wie man Kinder in der unvorhersehbaren Wirtschaft lehrt und ihnen gleichzeitig kulturelle Identität vermittelt. Für mich stehen daher drei zentrale Aspekte als Vorreiter des liberalen Schulupdates im Fokus.


Angefangen mit einer Zeitenwende in unserer Wahrnehmung von schulischem bzw. akademischem Erfolg. Eine unbequeme Wahrheit gefällig? Seien wir ehrlich mit uns: Wer nicht aus der Schulpflicht heraus seinen Erfolg entstehen lässt, hat diesen anscheinend weniger verdient als jemand der sich den Lehren und Wissenschaften verpflichtete. Wir sehen es immer wieder: Das Land der Dichter und Denker hat sich verpflichtet auf den nächsten Goethe zu warten, schmunzelt jedoch schelmisch vor sich her, wenn die frischen Schulabgänger zu schillernden Newcomern und Trendsettern werden, die für ihre lyrischen Meisterwerke internationale Anerkennung finden. Dabei ist der Erfolg dieser Personen nicht weniger wert als die Meilensteine jener, die unser Land durch Forschung oder Pädagogik vorantreiben. Plump gesagt: Die Mischung macht´s. Dass aus Schulabbrechern Oscar-Preisträger werden, Kinder aus sogenannten Brennpunktschulen sich der Politik widmen und angehende Juristen als angesehene Musiker durchstarten, ist meiner Meinung nach ein Indiz dieses Sinneswandels.

Wenn wir über Denkfabriken sprechen, müssen wir auch die Fakten im Auge behalten. Unser liberales Motto ist, glücklicherweise, standfest wie ein Fußballchor. Gerechte Bildungschancen, gerechte Bildungschancen, gerechte Bildungschancen werden nicht durch Wiederholungen erreicht, es muss ein Aufbrechen stattfinden. Ethnische Ungleichheiten im Bildungssystem müssen gesehen und aufgearbeitet werden. Ebenfalls sollten sozioökonomische Unterschiede nicht ausschlaggebend als Vorteile oder Nachteile sein. Inklusion und Integration sind eben keine linken Kampfbegriffe, sondern Themenfelder, die durch liberale Lösungen revolutioniert werden sollten.


Kompetenz statt Konformität


Auch die Paradigmen der Bildung müssen sich anpassen. Fernab von Brüchen, Anaphern und Völkerball, muss moderne Bildungspolitik auch die Allgemeinbildung reformieren und an den aktuellen Zeitgeist anpassen. Die Fließbandmentalität unseres aktuellen Systems lehrt keine Kompetenzförderung, sondern Konformität. Es wird Zeit, dass wir Mut aus Bildung herauswachsen lassen und in junge kluge Köpfe investieren. Eine wichtige Lehre wurde im Rahmen der Covid-19-Pandemie katalysiert: Der Fokus auf digitale Kompetenzen und den Umgang mit Medien ist von immenser Bedeutung. Gleichzeitig sollte uns bewusst sein, dass wir noch lange nicht damit fertig sind. Das Internet und die zugehörige Technologie sollten im Jahr 2023, auch im Jahr 2020, nicht mehr als Neuland klassifiziert werden. Trotzdem gilt es als ein Raum der unendlichen Möglichkeiten, ein Ökosystem, von dem Alles erwartet werden kann.


Ganz in diesem Sinne schließt sich eine Kompetenz an, die auch durch ein liberales Schulmodell gelehrt werden sollte: Risikokompetenz. Das Unerwartete zu erwarten ist die universelle Wahrheit des 21. Jahrhunderts. Darauf basierend Entscheidungen zu treffen und Risiken mit ihren Konsequenzen abzuwägen, sollte von Kindesalter an gelernt werden und mit einer Prise von divergentem Denken verfeinert werden.


Divergentes Denken ist der genaue Kontrast zu konvergentem Denken. Manch einer würde behaupten, es wäre der Ausbruch aus dem Bausteinsystem, wo die Gedanken sich an einem vorgegebenen Gerüst orientieren sollten. Im Endeffekt befähigt divergentes Denken dazu, neue Ideen und Lösungen zu entwickeln und diese auf eine besondere Weise auszudrücken. Es fördert kreative Problemsensibilität und beweist, dass Schulen ein Ort sein können, wo erste Antworten auf soziale, wirtschaftliche und politische Herausforderungen gefunden werden können.


Aus diesen Aspekten heraus merkt man: Die moderne Schule ist keineswegs eine Oase der Bequemlichkeit. Sie soll weder eine Akademie der militanten Zucht und Ordnung sein noch ein Platz von Samthandschuhen. Die moderne Schule ist konzeptionell gesehen ein liberales Erfolgsmodell, das junge Menschen das Lernen lehrt und den Grundstein für lebenslange Anreize legt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und ihren Platz in unserer Demokratie zu finden.

 

Dimitra Papadopoulou Jahrgang 2000, ist Studentin der Sozialwissenschaften mit einer Passion für Chancengerechtigkeit im Bildungssystem. Sie ist seit langem bei den Jungen Liberalen aktiv, wo sie als International Communications Officer den Verband für europäische und internationale Politik begeistern will. Wenn man „Dimi“ nicht im politischen Kontext sieht, trifft man sie mit ihrer Kamera bei Content Aufnahmen und Kunstausstellungen in fernen Ländern.


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