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Zukunftsmodell – liberale Außenpolitik

von Sina Behrend



Ist es nicht ein liberaler Traum, dass sich Staaten möglichst auf ein Minimum beschränken und florierendes wirtschaftliches und kulturelles Leben möglich machen? Bedeutet das auch Zurückhaltung in der Außenpolitik? Vielleicht hätte ich dazu früher einmal „Ja“ gesagt. Doch: „Der Krieg hat alles verändert. Zeitenwende.“


Lassen Sie mich kurz ausholen. Nach Kant kann man als einen Grundsatz liberaler Außenpolitik definieren, dass ein Staat sich nicht in die Geschicke eines anderen Staates einmischen sollte. Hier geht es um Interventionismus, der im Liberalismus grundsätzlich abgelehnt wird, ob in der Wirtschaft, oder auch in internationalen Beziehungen. Als Liberale bin ich grundsätzlich der Überzeugung, dass sich internationale Beziehungen so organisieren lassen, dass alle Menschen ihr Leben selbstbestimmt führen können. Einer der ersten Gedanken, der einem zu liberaler Außenpolitik in den Sinn kommt, ist vermutlich “Wandel durch Handel” – bzw. Frieden durch wirtschaftlichen Austausch. Darüber hinaus denkt man vielleicht noch an Wandel durch Demokratie oder Frieden durch internationale Organisationen.

Eins wird klar: Es ist im Liberalismus (wie so oft) mit der politischen Zielsetzung für die Außenpolitik nicht so leicht wie in anderen politischen Denkrichtungen. Darüber hinaus scheinen diese losen Leitlinien der komplexen und gewaltvollen außenpolitischen Realität nicht angemessen.


China als Herausforderung

Derzeit beobachten wir Machtverschiebungen auf dem internationalen Spielfeld. Die Positionsverluste des Westens sind nicht zu bestreiten. Die Investitionen und Kreditvergaben Chinas in vielen afrikanischen Ländern schaffen neue Abhängigkeiten. Diese Entwicklung hat nicht erst gestern angefangen. Trotz eines Papers der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages von 2007, das deutlich aufzeigt, dass die Relevanz der Beobachtung Chinas eigentlich schon lange klar ist, hat sich augenscheinlich nicht viel getan in der China-Strategie der Bundesregierung. Und China ist nicht der einzige Staat in Asien, der noch viel zu wenig im westlichen weltpolitischen Denken vorkommt. Laut Berechnung der UN soll Indien noch dieses Jahr China als bevölkerungsreichstes Land ablösen. Aktuell leben 59 Prozent der Weltbevölkerung auf dem asiatischen Kontinent, neun Prozent in Europa. China zeigt beispielhaft, dass Kapitalismus nicht zu Demokratie führen muss, die Beispiele für das Scheitern von „Wandel durch Handel“ sind endlos.

Und was ist mit Frieden durch Demokratie? Nach der Demokratiematrix sind 34 von 177 untersuchten Ländern funktionierende Demokratien. Die internationalen Strukturen führen sich selbst ad absurdum. Multilaterale Organisationen, allen voran natürlich die Vereinten Nationen, spiegeln nicht mehr ansatzweise die tatsächlichen weltpolitischen Gegebenheiten wider. Blöd für eine Maxime wie „Frieden durch internationale Beziehungen“. Zugegeben, ohne die UN wäre die aktuelle Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit noch schlimmer. Der russische Angriffskrieg zeigt aber plakativ, wie wenig zeitgemäß die Organe der UN ausgestaltet sind. Und noch etwas wird deutlich, wenn man genauer hinhört: Die Bereitschaft zur Unterstützung der Ukraine schwindet. Die Abstimmung zur Resolution über eine Verurteilung des Kriegs in der UN-Generalversammlung am 23. Februar 2023 ging mit 141 Ja-Stimmen aus im Vergleich zu 143 noch im Oktober 2022. Aber die Länder des globalen Südens fühlen sich zunehmend weniger verantwortlich, sie wollen ihre eigene Sicherheit priorisieren. Die, unter anderem vom Krieg induzierte, Lebensmittelknappheit birgt viele Spannungen. Die Probleme der UN sind schon lange vorhanden: langsame Strukturen, nicht-repräsentative Machtverteilung. Reformversuche sind nur selten und sanft zu spüren. Von nicht-europäischen Staaten wird über eine Arroganz des Westens geklagt, der erst jetzt, wo es mit der Ukraine um „ihn“ geht, wach wird. Retrospektiv können wir das natürlich nicht mehr ändern, aber es ist wichtig, dass wir uns dessen wenigstens bewusst werden, damit wir in Zukunft nicht mehr die gleichen Fehler machen.


Lösungen für eine bessere Ausgangssituation


All das ist ziemlich ernüchternd, und ich wünschte, eine Lösung dafür parat zu haben. Leider habe ich das nicht. Was ich aber habe, sind Ideen davon, was wir als Liberale fordern sollten, um wenigstens in eine bessere Ausgangssituation zu gelangen, aus der wir auf die vielschichtigen Probleme der Welt reagieren können.

1. Wir müssen uns weiter und noch stärker für eine geeinte Europäische Union einsetzen. Noch unterstützen die USA Europa gegen Russland. Die Amerikaner haben mehr für militärische Unterstützung für die Ukraine ausgegeben als alle anderen Länder zusammen. Der Unmut der MAGA-Republikaner wird aber immer größer: „Wir verstehen ja, dass Selenskyj sein Land verteidigt, aber das sollte unser Präsident auch tun.“ Wir sollten uns im Hinblick auf künftige Wahlen nicht auf Amerika verlassen, das ist schlicht zu gefährlich. Dass die Bundesregierung sich final zu Panzerlieferungen durchringen konnte, ist ein wichtiger erster Schritt gewesen, denn Europa darf in Zukunft auf keinen Fall durch unkoordinierte Alleingänge gefährdet werden. Transnationale Beziehungen sollten trotzdem gepflegt werden, wir sollten uns bloß nicht auf eine vermeintliche Sicherheit durch eine “amerikanische Weltpolizei” verlassen.

2. Wir brauchen eine wertegeleitete Außenpolitik, die Acht gibt, von wem sich Deutschland abhängig macht. Mit dem Abbau und der Vermeidung von Abhängigkeiten mischt man sich nicht in andere Länder ein, aber man setzt trotzdem klare Zeichen und als Wirtschaftsnation hat Deutschland weiterhin Gewicht. „Wandel durch Handel“ funktioniert nämlich nur mit Willen zum Wandel.

3. Deutschland muss sich für Reformen in den internationalen Organisationen einsetzen, um eine bessere Repräsentation der weltpolitischen Realität zu gewährleisten, darf dabei aber nicht seine eigene Position gefährden.


Klimawandel als internationale Herausforderung


Nicht nur der Krieg, internationale Machtgefüge und die Schwächung multilateraler Institutionen, auch das drängende globale Problem des Klimawandels erfordern eine neue Ausrichtung der deutschen Außenpolitik. Dass der Klimawandel keine Landesgrenzen kennt, ist klar, aber auch seine Auswirkungen auf die Menschheit haben in den kommenden Jahrzehnten das Potenzial, Grenzen zu sprengen. Wir müssen uns auf neue Ströme von Flüchtenden vorbereiten, die früher oder später aus nicht mehr bewohnbaren Küstenstreifen oder Trockenregionen ohne Nahrung fliehen werden. Wir dürfen uns von Extremisten nicht dazu verleiten lassen, über unsere durch das allgemeine Menschenrecht gegebenen Verpflichtungen zu diskutieren. Wir müssen sie als Tatsache begreifen und können sie auch als Chance begreifen, denn wir können für unsere alternde Gesellschaft neue Fachkräfte dringend gebrauchen.

Die oben genannte Reform der Vereinten Nationen ist auch wichtig, um verbindliche internationale Abkommen und Beschlüsse im Hinblick auf den Klimawandel zu fassen. Das kürzlich verabschiedete Abkommen zum Schutz der Hohen See zeigt, dass selbst in der Dysfunktionalität doch auch gute Projekte den Vereinten Nationen entspringen. Kern der umfassenden Lösung könnten ein globales Treibhausgaslimit und ein globaler, streng überwachter Emissionshandel sein. Hiervon müssen alle Verursacher sowie alle Treibhausgase erfasst und nach ihrer klimaschädlichen Wirkung bepreist werden.

 

Sina Behrend ist 22 Jahre alt und studiert Philosophy, Politics and Economics an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dort hat sie auch den Vorsitz der LHG inne. In ihrer Heimat Mönchengladbach engagiert sie sich kommunalpolitisch für die Freien Demokraten.

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