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Was können das Individuum und die Politik gegen den Klimawandel tun?

von Prof. Dr. Berward Gesang




Fahrrad zu fahren, nicht zu fliegen oder die Kulturpraxis des Grillens einzustellen – dies und anderes wird dem Einzelnen als wirkungsvoller Beitrag gegen den Klimawandel empfohlen. Ist das aber wirklich effizient? Jeder CO2-Rechner zeigt uns etwas anderes: Als Verbraucher ein Jahr auf Fleisch zu verzichten, spart beispielsweise 450 kg CO2-Emissionen ein. Monetär spart man durch den Verzicht etwa 651 Euro. Würde man diesen Betrag zur Förderung von guten Klimaschutzprojekten in Ländern des globalen Südens spenden, brächte dies eine CO2-Ersparnis von bis zu 28.300 kg CO2. Auch wenn solche Ergebnisse natürlich immer von konkreten Entwicklungsprojekten abhängen: Spenden kann um ein Vielfaches größere Effekte haben als eine direkte Änderung des Emissionsverhaltens.


Manche meinen, das Individuum sei nicht die richtige Adresse, um über Pflichten beim Klimaschutz zu sprechen. Aufgaben wie den Klimaschutz könne keiner alleine stemmen, sondern es gehe hierbei um Probleme kollektiven Handelns, für die der Staat die Koordination schaffen müsse. Kann der Staat dafür sorgen, dass genügend Leute mitmachen, ist mein Beitrag nicht vergebens. Was aber, wenn der Staat bei dieser Koordinationsaufgabe versagt? Der Klimaschutz ist zu wichtig, um unerledigt zu bleiben. Man muss also fragen: Was kann der oder die Einzelne tun?


Individuen sollten versuchen, die Welt so weit besser zu machen, wie es im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegt, also den Berg von Klimagasen, der sich vor uns auftürmt, so schnell und so viel wie möglich zu verringern. Der Staat hingegen sollte für koordinierte Veränderungen in Industrienationen sorgen. Beim Spenden geht es darum, Doppel- oder Mehrfachwirkungen systematisch auszunutzen. Beispielsweise können wir armen Bauern in Regenwaldgebieten dabei helfen, genügend Einkommen zu erwirtschaften, damit diese einer Nutzung des Waldes durch Palmölkonzerne die Zustimmung verweigern, sofern sie bzw. ihre Dörfer wie in Indonesien die Nutzungsrechte am Wald haben. Das zöge günstige Mehrfachwirkungen nach sich: Die Verringerung von Armut ginge Hand in Hand mit Klima-, Tier-, Arten-, Grundwasser-, Luft- und Pandemieschutz. Voraussetzung ist natürlich, dass das Geld auch wirklich vor Ort ankommt, etwa bei unabhängig zertifizierten Hilfsorganisationen. 


In einer idealen Welt ohne Ressourcenknappheit sollten wir der oben erwähnten Standardstrategie der individuellen Verhaltensänderung folgen und spenden. Doch die Motivation zu helfen, ist in der realen Welt ein knappes Gut. Beim Spenden als individueller Handlungsmaxime überfordern wir uns nicht so schnell wie bei der Aufgabe, unser Verhalten zu ändern. Geld zu geben, fällt uns leichter, als unser Emissionsverhalten radikal umzustellen. Die Ökosteuer der rot-grünen Regierung in Deutschland hat gezeigt, das uns zahlen leichter fällt als verzichten. Zumal allen klar sein sollte, wohin eine radikale persönliche Umstellung des Emissionsverhaltens führen müsste: in eine Welt, in der man wieder angelt und jagt, um sich selbst zu versorgen, in der auch wieder Kutschen auf den Straßen fahren. Nur so ließe sich, wie es der „Postwachstumspapst“ N. Paech einmal skizziert hat, der Klimawandel nennenswert abschwächen; unser kompletter Lebensstil stünde zur Disposition.


Solange wir über freiwilliges Handeln sprechen, bei dem die Individuen uns als Lückenbüßer für den Staat etwas Aufschub im Klimawandel verschaffen müssen, sollte man nichts tun, was ineffizient ist und motivationshemmend wirkt. Die Frage der Effizienz spricht auch dagegen, ein neues Spendenverhalten und individuelle Verhaltensänderungen zugleich und gleichberechtigt zu fordern. Angenommen, ich habe nur zwei Euro zur Verfügung, und die eine Strategie ist um ein Vielfaches effizienter als die andere: Sollte ich da je einen Euro für beide Strategien ausgeben – oder nicht doch lieber beide Euros auf die effizientere Strategie setzen?


Andererseits fühlen sich viele Menschen beim Spenden als „Heuchler“, solange sie nicht auch selbst CO2 einsparen. Eine Kombination der beiden Strategien könnte daher vielleicht den politisch einzufordernden Mentalitätswandel in den Köpfen und in vielen Regalen am ehesten auf den Weg bringen. Psychologische Realitäten muss man beachten. Trotzdem müsste man gut begründen, weshalb man ein vielleicht fünfzigmal ineffizienteres Mittel wählt statt des effizienten.


Die hier vorgeschlagene Strategie heißt „spende und ersetze“. Sie gilt nur so lange, wie die CO2-Vermeidungskosten im Globalen Süden erheblich geringer sind als bei uns und wir den Staaten privat aushelfen müssen, was allerdings zum Dauerzustand werden könnte angesichts der fortschreitenden Zeit. Staaten sollen der Kooperation bei der Umstellung der Emissionen einen Rahmen geben, der es wahrscheinlicher macht, dass diese Umstellung gelingt. Bei der Standardstrategie kann man zweifeln: Was bewirkt meine kleine CO2-Einsparung, wenn sich doch nur maximal zehn Prozent der reichsten und gebildetsten Bevölkerungsgruppe weltweit überhaupt um Vergleichbares bemüht? „Spende und ersetze“ sorgt hingegen dafür, dass konkreten Menschen in Armut geholfen wird, auch wenn sonst niemand kooperiert. Mein „Opfer“ hat immer einen Wohlfahrtsgewinn und ist daher nie vergeblich: Mehr Klimaschutz wiederum kann aufgrund falsch gewählter Projekte scheitern, ebenso wie Erfolg der Standardstrategie wegen fehlender Kooperation ausbleiben kann. Werden die richtigen Projekte gewählt, spart dies jedoch mehr CO2 ein als meine persönliche Verhaltensänderung und das mit erheblich viel weniger Kooperierenden als bei der Standardstrategie. 


„Spende und ersetze“ ist dabei kein Ablasshandel, wenn es mit der moralischen Verpflichtung gekoppelt ist, regelmäßig und im Rahmen der moralischen Verpflichtung zu spenden, die ich in meinen Büchern erläutere. Mit dieser Strategie stellen wir unser Verhalten ebenfalls um – aber nicht, indem wir weniger emittieren, sondern, indem wir mehr spenden. So tragen wir mehr Last für das moralisch Richtige. Bei einem Ablasshandel ginge es nur darum, uns selbst Erleichterung zu verschaffen – und eben nicht darum, das Richtige voranzubringen. Es geht nicht um eine persönliche „Entschuldung“, sondern um weniger Armut und weniger CO2 weltweit. 


Mein Auto weiterzufahren, wäre innerhalb dieses gerade skizzierten Rahmens erlaubt, wenn ich regelmäßig und ausreichend spende, und zwar mehr, als mein Autofahren schadet. Auch das erinnert ein wenig an „es sich einfach machen“, aber das ist durchaus gewollt, denn diese Strategie soll uns ja leichter fallen als die Standardstrategie. Deshalb werden sie hoffentlich auch mehr Menschen umsetzen. Zugleich verschiebt sie die Verantwortung auf das Spenden und auf einen Politikwechsel vor Ort. Beides hängt zusammen, denn auch vom Spenden geht das politische Signal aus, dass die Menschen eine Klimawende wünschen, was Veränderungsdruck auf die Politik erzeugt. Mit dem US-amerikanischen Philosophen W. Sinnott-Armstrong gesprochen: „Genieße Deine Spaßfahrt im SUV, und tue gleichzeitig alles dafür, damit die Politik allen Akteuren, also auch Dir, solche Spaßfahrten verbietet.“ Wir sollten uns dort politisch engagieren, wo es effizient ist. „Fridays for Future“ etwa macht uns dies bewundernswert vor. Und um nicht als Lobbyist für die Autoindustrie missverstanden zu werden, will ich dem obigen Zitat von Sinott-Armstrong voranstellen: Nur wer die Motivation zu helfen verliert, wenn er seinen gewohnten Lebenswandel völlig umstellen muss, sollte diesen Lebensstil bewahren – wenn er denn zugleich entsprechend spendet. Nur dann sollte er die Spaßfahrt genießen dürfen, wenn er sich politisch für ein Verbot einsetzt.


Ist das schizophren, weil ich inkonsequent bin? Wir sind einem Denken verhaftet, das uns selbst und unser integres Verhalten als den Nabel der Welt begreift. Wenn ich konsequent bei mir selbst anfange, dann wird schon alles gut. Doch das ist falsch. Denn es geht ja gar nicht um mich, sondern um den Klimaschutz. Darüber hinaus glauben wir, dass Moral wehtun müsse. Nur wenn ich richtig leide, gehöre ich zu den Guten. Das kommt zwar von Immanuel Kant, ist aber trotzdem Nonsens. Denn es verkennt, dass die Motivation zu helfen ein knappes Gut ist, das man schnell verlieren kann. Die wenigsten Menschen sind Helden mit unbegrenztem Budget für Altruismus.


Für alle, die bei diesem Denkmanöver immer noch Magenschmerzen haben: Da unser Wissen über die Zukunft leider nicht perfekt ist und wir normalerweise Wesen sind, die nicht alles an Effizienz festmachen, sollten wir erwägen, mehrere Strategien gleichzeitig zu verfolgen. Wichtig ist: In einem Portfolio der Strategien sollte „spende und ersetze“ jedenfalls seinen Platz haben, aber man kann auch die Standardstrategie ins Portfolio übernehmen, wenn sie nicht zu viel kostet. Und wie hoch welche Kosten in Form eines Verlusts von Wohlergehen für ein Individuum ausfallen, bestimmt seine eigene Wahrnehmung. Wem es nichts ausmacht, kein Fleisch zu essen, für den ist diese Maßnahme auch kein Motivationshindernis. Meine Argumentation greift nur, gegeben die Interessenlage von „Ottonormalverbraucher“, der ein begrenztes Budget zum Helfen hat. Oft kann jedoch sogar der ohne Kosten kooperieren: Zum Beispiel kostet es de facto nichts (per Briefwahl) zu wählen oder Ecosia statt Google auf dem Rechner zu installieren. Also sollte man das machen. So wird das „entweder oder“ doch noch zu einem bedingten „sowohl als auch“.


Das lässt sich auch auf die Politik übertragen. Effizienz sollte zählen und nicht nur die richtige Bilanz im eigenen Land. Klimaneutralität für Deutschland ist als Ziel der Klimapolitik zu kurz gedacht, denn Klimaneutralität ist nur global anstrebenswert. Es könnte sein, dass nationale Klimaneutralität bei uns realisiert wird, aber Deutschland trotzdem untergeht, da die anderen Länder nicht mitgezogen haben. Maßnahmen wie flächendeckende Elektromobilität können teuer sein und für das Geld ließe sich eventuell mit Spenden zur Bewahrung von CO2 Speichern viel mehr CO2 sparen. Der ehemalige Präsident von Ecuador S. Correa hat zum Beispiel angeboten, den Regenwald intakt zu lassen, wenn der Westen dafür bezahlt. Das wäre viel sinnvoller gewesen als viele teure Maßnahmen im Inland, scheiterte aber. Der Staat hat zwar andere Pflichten als das Individuum, denn er muss politische Allianzen schließen, was Glaubwürdigkeit erfordert. Zudem muss er neue Techniken gegen den Markt etablieren wie dereinst die erneuerbaren Energien, um diese effizienter zu machen und dann in Entwicklungs- und Schwellenländer abzugeben. Aber gleichwohl: Maßnahmen im Inland wollen auf Effizienz geprüft werden! Die nationale Energiewende ist sinnvoll, aber der richtige Mix mit einer wirksamen Klima-Außenpolitik ist zu suchen, und bislang liegt unser Augenmerk ganz vorrangig bei nationalen Maßnahmen.



 


Bernward Gesang ist ein deutscher Philosoph, Hochschullehrer und Sachbuchautor. Gesang studierte an den Universitäten Bonn und Münster. 1993 schloss er sein Studium mit dem Magister ab, 1994 wurde er an der Universität Münster promoviert. Von 1997 bis 1999 war er Habilitationsstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Lehrbeauftragter in Münster. 2000 habilitierte er sich an der Universität Düsseldorf und wurde dort Privatdozent. Nach Lehraufträgen und Vertretungsprofessuren in Zürich, Konstanz, Essen und Basel wurde er 2006 Professor für Philosophie an der Universität Düsseldorf. Im Jahr 2009 wurde er an die Universität Mannheim auf den Lehrstuhl für Philosophie mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsethik berufen.


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